EuGH
Entfall der Urlaubsersatzleistung bei unberechtigtem vorzeitigem Austritt ist unionswidrig
Der OGH richtete ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH, worin es um einen Arbeitnehmer ging, der nach einem unberechtigten vorzeitigen Austritt eine Urlaubsersatzleistung forderte; hier 3,33 offene Urlaubstage in Höhe von EUR 322,06.
Das österreichische Urlaubsgesetz[1] sieht grundsätzlich vor, dass in solchen Fällen für das laufende Urlaubsjahr keine Ersatzleistung gebührt.
Wann stehen dem Arbeiternehmer eine Urlaubsersatzleistung zu?
Hingegen steht dem Arbeitnehmer nach österreichischem Recht bei offenem Urlaub aus bereits vorangegangenen Urlaubsjahren eine Urlaubsersatzleistung zu, sofern noch keine Verjährung eingetreten ist.[2] Urlaubsentgelt für einen über das aliquote Ausmaß hinaus verbrauchten Urlaub muss vom Arbeitnehmer rückerstattet werden.[3]
Der EuGH vertritt nunmehr die richtungsweisende Ansicht, wonach der Entfall einer Urlaubsersatzleistung für das laufende Arbeitsjahr bei unberechtigtem vorzeitigem Austritt im Widerspruch zum Unionsrecht[4] steht. Eine Auslegung von Art 7 der Richtlinie 2003/88/EG iVm Art 31 Abs 2 GRC führt zum Ergebnis, dass der Arbeitnehmer sehr wohl Anspruch auf finanzielle Vergütung für nicht verbrauchten aliquoten Urlaub hat, wenngleich der Arbeitnehmer das Dienstverhältnis ohne Grund vorzeitig beendet. EuGH 25.11.2021, C-233/20 – WD / job-medium GmbH.
Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaft zählen im Regelfall nicht als Arbeitszeit
Ein in Irland Teilzeit beschäftigter Reservefeuerwehrmann mit Rufbereitschaft und Nebenbeschäftigung als Taxifahrer machte bei der Workplace Relations Commission (Kommission für Beziehungen am Arbeitsplatz, Irland) eine Forderung geltend, dass die Bereitschaftsstunden als Arbeitszeit zu werten seien.
Nach Antrag des irischen Labour Court entschied der EuGH im Vorabentscheidungsverfahren, dass Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft bei Genehmigung einer Nebenbeschäftigung mit „Auflagen“ keine Arbeitszeit iSd Unionsrecht[5] darstellt. Anders zu werten sei es, wenn eine Gesamtbeurteilung ergebe, dass der Arbeitnehmer, durch die vom Arbeitgeber auferlegten Einschränkungen in der Gestaltung seiner beruflichen Nebentätigkeit sowie familiären/sozialen Aktivitäten, erheblich beeinträchtigt werde. EuGH 11.11.2021, C-214/20 – MG / Dublin City Council.
Anderweitige Verwendung von Arbeitnehmern mit Behinderung trotz Verlust seiner beruflichen Eignung zumutbar?
Im November 2016 wurde ein Facharbeiter in einem belgischen Unternehmen für die Wartung der Schienenwege unter Vereinbarung einer Probezeit eingestellt. Im
Dezember 2017 wurde bei dem Arbeitnehmer ein Herzproblem diagnostiziert, dass das Einsetzen eines Herzschrittmachers erforderlich machte. Zu Lasten des Arbeitnehmers reagierte das Gerät empfindlich auf elektromagnetische Felder.
Daraufhin wurde dem Arbeitnehmer ein Behindertengrad zugesprochen. Eine Entlassung wegen mangelnder Eignung war die Folge. Der Arbeitnehmer brachte in seiner Klage vor, dass er wegen Behinderung diskriminiert worden sei.
Es gilt vom EuGH zu beantworten, ob der Arbeitgeber in einer solchen Situation gemäß der anzuwendenden Richtlinie[6] verpflichtet war, den Arbeitnehmer, anstatt ihn zu entlassen, an einem anderen Arbeitsplatz zu verwenden, für den er kompetent, fähig und verfügbar war.
Der Generalanwalt schlägt nun vor, dass Menschen mit Behinderung so weit wie möglich weiterbeschäftigt werden, anstatt sie wegen mangelnder Eignung zu entlassen, was nur der letzte Ausweg sein sollte. Angemessene Vorkehrungen dürfen den Arbeitgeber jedoch nicht unverhältnismäßig belasten. Das Urteil des EuGH bleibt abzuwarten. Schlussanträge des Generalanwalts Athansios RANTOS, 11.11.2021, C‑485/20 – N.N. / HR Rail SA.
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OGH
Kein individueller Kündigungsschutz durch die Sozialpartnervereinbarung der COVID-19-Kurzarbeit
Das lange Warten auf Rechtssicherheit hat ein Ende: Der OGH spricht sich in seiner jüngsten Entscheidung erneut (wie bereits in der wegweisenden Entscheidung des OGH vom 22.10.2021[7]) gegen einen individuellen Kündigungsschutz während und in der Behaltefrist der COVID-19-Kurzarbeit aus. Entscheidungen des OLG Linz im Februar und des OLG Wien im September stehen diametral zueinander und sorgten für Unruhe bei Arbeitgebern.
Im vorliegenden Fall befand sich die Arbeitnehmerin von 01.04. bis 30.09.2020 in Kurzarbeit. Mit Schreiben vom 18.09.2020 wurde sie gekündigt. Die Kündigung sei laut Arbeitnehmerin unwirksam, zumal die Sozialpartnervereinbarung über die Kurzarbeit ein Kündigungsverbot enthalte.
Der OGH räumte ein, dass die gesetzliche Bestimmung des Arbeitsmarktservicegesetzes[8] auf das Ziel abstellt, die Zahl der insgesamt im Betrieb Beschäftigten aufrechtzuerhalten, ohne einen zusätzlichen individuellen Kündigungsschutz zu statuieren. Zudem liegen laut OGH der Sozialpartnervereinbarung vordergründig beihilfenrechtliche Aspekte des AMS zugrunde. OGH 29.11.2021; 8 ObA 50/21t.
Entlassung eines begünstigten behinderten Arbeitnehmers wegen Dienstunfähigkeit
Einem Arbeitnehmer mit 70% festgestelltem Behindertengrad[9] (insbesondere wegen Herabsetzung seiner geistigen Leistungsfähigkeit) wurde nach Widersetzen gegen eine Dienstanweisung des Vorgesetzen und mangels Akzeptanz desselben, am 03.10.2019 die Entlassung[10] ausgesprochen. Als Grund gab der Arbeitgeber an, dass eine weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer nicht möglich sei. Der Grad der Behinderung habe mit seiner Entscheidung nichts zu tun.
Der OGH hielt fest, dass eine Entlassung nur dann gerechtfertigt ist, wenn der begünstigte Behinderte an keinem anderen geeigneten Arbeitsplatz des Arbeitgebers ohne erheblichen Schaden weiterbeschäftigt werden kann und er aufgrund seiner mangelnden Leistungsfähigkeit, egal ob diese aus der Behinderung resultiert oder nicht, auch am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr arbeitsfähig ist. Trifft Letzteres nicht zu, hat der Arbeitgeber nur die Möglichkeit zur Kündigung, wofür vom Arbeitgeber bei begünstigten Behinderten ein besonderes Kündigungsverfahren[11] einzuhalten ist. OGH 28.09.2021, 9 ObA 93/21y.
Diskriminierung einer Arbeitnehmerin mit vorübergehender Behinderung im Zusammenhang mit längeren Krankenständen
Im vorliegenden Fall befand sich die Arbeitnehmerin nach einer Operation ca. zweieinhalb Monate im Krankenstand und gab an, unter nicht vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigungen zu leiden. Der Arbeitgeber sprach in weiterer Folge die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus. Die Arbeitnehmerin brachte vor, die Kündigung sei unwirksam, weil eine Behinderung[12] im Zeitpunkt der Kündigung bestanden habe. Laut Arbeitgeber seien betriebsbedingte Gründe vorgelegen. Die Arbeitnehmerin sei wegen ihrer Fehlzeiten gekündigt worden, die sich aus verschiedenen, nie sechs Monate übersteigenden Krankenständen begründeten.
Der OGH folgte letzten Endes der Entscheidung des Erstgerichts und erklärt, dass weder eine unmittelbare Diskriminierung[13] noch eine mittelbare Diskriminierung[14] vorliegt, insbesondere weil die Fehlzeiten der Arbeitnehmerin aus keiner Behinderung resultierten und eine auf Krankenstände gestützte Kündigung als Grund einer allenfalls mittelbaren Diskriminierung hier nicht vorliegt. Die Kündigung war sohin wirksam und nicht diskriminierend. OGH 28.09.2021, 9 ObA 45/21i.
Entlassung einer Arbeitnehmerin wegen Missachtung der angeordneten Absonderung als Corona-Verdachtsfall
In vorliegender Angelegenheit wurde eine Arbeitnehmerin über eine Gesundheitsbehörde auf SARS-CoV-2 getestet. Trotz Anordnung der Gesundheitsbehörde, sie möge bis zum Ergebnis des Tests zu Hause bleiben, kam die Arbeitnehmerin am 16.03.2020 zur Arbeit. Am 17.03.2020 lag ein positives Testergebnis vor. Nach Bekanntwerden des Ergebnisses ordnete die Gesundheitsbehörde für 23 Mitarbeiter eine 14-tägige Quarantäne an. Die Arbeitgeberin sprach daraufhin am 18.03.2020 der Arbeitnehmerin die Entlassung aus.
Der OGH schloss sich den Vorinstanzen an und begründete die Wirksamkeit der Entlassung damit, dass es auf eine tatsächliche Erkrankung an Corona nicht ankommt. Zudem kann vor Vorliegen des Testergebnisse eine Infektion nicht ausgeschlossen werden. Wenig überraschend lag der Fokus der Entscheidung auf der Nichtbeachtung der behördlichen Absonderung sowie dem Umstand, dass die Arbeitnehmerin die Gefährdung der restlichen Belegschaft schlichtweg in Kauf nahm. OGH 14.9.2021, 8 ObA54/21f.
Kündigung wegen Weigerung verpflichtender regelmäßiger Corona-Tests
Der OGH befasste sich im vorliegenden Fall mit der Frage, ob die Kündigung eines Arbeitnehmers gerechtfertigt sei, wenn er sich als Diplomkrankenpfleger beharrlich weigert, sich einmal wöchentlich auf Kosten der Arbeitgeberin einer der üblichen Corona-Test zu unterziehen, obwohl das die COVID-19-Notmaßnahmenverordnung in der geltenden Fassung[15] verpflichtend vorsieht. Der Begründung des Arbeitnehmers, er zweifle an der Sinnhaftigkeit der Testung, konnte der OGH ebenso wenig etwas abgewinnen, wie der Behauptung, dass es zu einem unverhältnismäßigen Eingriff seiner Persönlichkeitsrechte gekommen sein soll. Eine Interessenabwägung fällt aufgrund der Schutzbedürftigkeit vulnerabler Heimbewohner jedenfalls zugunsten der Testpflicht aus.
Die (beharrliche) Weigerung des Arbeitnehmers war demnach offenkundig unbegründet. Eine Retorsionsmaßnahme der Arbeitgeberin in Form der Kündigung war zudem nicht erkennbar. OGH 14.9.2021, 8ObA42/21s.
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VwGH
Müssen Zulagen bei der Altersteilzeitförderung des AMS berücksichtigt werden?
Das Modell der Altersteilzeit, bei welchem Arbeitnehmer zusätzlich zum Teilzeitentgelt einen Lohnausgleich[16] erhalten, erfreut sich steigender Beliebtheit in Österreich. Wie sich der Lohnausgleich bei vorheriger Gewährung einer Zulage berechnet, hat nun der VwGH präzisiert.
Das Bundesverwaltungsgericht nahm im vorliegenden Fall bei einer stellvertretenden Bereichsleiterin (Entfall ihrer Leitungsfunktion durch die Teilzeitbeschäftigung) als Berechnungsgrundlage für den Lohnausgleich ein fiktives durchschnittliches Entgelt ohne Funktionszulage an. Ohne die Zulage entstehe für die Berechnungsgrundlage des Lohnausgleichs ein spürbares Minus von rund EUR 300,00.
Der VwGH erkannte, dass für die Berechnung des Lohnausgleichs das bisherige Entgelt (“Oberwert“) samt entfallener Zulagen berücksichtigt werden müssen. Dabei werden insbesondere eine Funktionszulage aber auch allfällige Mehr- bzw. Überstunden miteingerechnet; ausgenommen davon sind Aufwandsentschädigungen[17]. Als Gegenposten wird das Entgelt der entsprechenden verringerten Arbeitszeit (hier: Reduktion von 38,5h auf 23h) herangezogen (“Unterwert“). Bei der Ermittlung des Unterwertes bleiben andere Entgeltbestandteile, auf die zuletzt ein Anspruch bestand, wie insbesondere für geleistete Mehr- und Überstunden, jedoch außer Betracht.
Daraus ergibt sich folgende Berechnung: Vom Oberwert samt Zulagen ist laut Gesetz der Unterwert für die verringerte Arbeitszeit abzuziehen. Mindestens 50% des daraus errechneten sogenannten „Unterschiedsbetrages“ ergeben den Lohnausgleich. VwGH 17.11.2021, Ra 2020/08/0042.
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[1] § 10 Abs 2 UrlG.
[2] § 10 Abs 3 UrlG.
[3] § 10 Abs 1 UrlG.
[4] § 10 Abs 2 UrlG widerspricht Art. 7 Abs. 2 der EURichtlinie 2003/88 sowie Art. 31 Abs. 2 der Charta.
[5] Art 2 Nr 1 der EU Richtlinie 2003/88.
[6] EU Richtlinie 2000/78.
[7] OGH 22.10.2021, 8 ObA 48/21y.
[8] § 37b Abs 2 AMSG.
[9] § 2 BEinstG.
[10] § 27 AngG.
[11] § 8 Abs 2 BEinstG.[12] Gemäß § 3 BEinstG ist eine Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
[13] Eine unmittelbare Diskriminierung liegt dann vor, wenn eine Person aufgrund einer Behinderung in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde (s § 7c Abs 1 BEinstG).
[14] Eine mittelbare Diskriminierung könnte etwa vorliegen, wenn Arbeitnehmer mit Behinderung im Vergleich zu solchen ohne Behinderung ohne gerechtfertigtes Ziel und ohne angemessene und erforderliche Mittel in besonderer Weise durch Krankenstände als dem Anschein nach neutralem Kriterium benachteiligt würden.
[15] § 10 Abs 4 COVID-19-NotMV idF BGBl II 2020/479 verpflichtete im vorliegenden Fall die Arbeitgeberin als Betreiberin eins Alters- und Pflegeheims dem Arbeitnehmer ohne Vorlage eines negativen Testergebnisses das Betreten der Betriebsstätte zu verwehren.
[16] Gemäß § 27 Abs 2 Z3 lit a AlVG gebührt ein Lohnausgleich bis zur Höchstbeitragsgrundlage gemäß § 45 ASVG in der Höhe von mindestens 50 vH des Unterschiedsbetrages zwischen dem im letzten Jahr (bei kürzerer Beschäftigungszeit in einem neuen Betrieb während dieser kürzeren, mindestens drei Monate betragenden Zeit) vor der Herabsetzung der Normalarbeitszeit durchschnittlich gebührenden Entgelt und dem der verringerten Arbeitszeit entsprechenden Entgelt.
[17] Vgl. dazu Sdoutz/Zechner, Arbeitslosenversicherungsgesetz [18. Lfg.] § 28 Rz 606.
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