Österreichisches Klimarecht 2024
Das österreichische Klimarecht und insoweit verbindliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels sind gemessen am Klimawandel und an damit einhergehenden Erwartungshaltungen unzureichend. Der anhaltende Politstreit bremst geplante Gesetzesvorhaben wie das Erneuerbares-Gas-Gesetz, das Energieversorger (eigentlich ab 2024) zu einer jährlich steigenden Grün-Gas-Quote verpflichten soll.
Klimapolitischer Stillstand im Überblick
Trotz täglicher Berichte über die Auswirkungen des Klimawandels reiht sich die österreichische Politik in das weltweite Phänomen ein, keine ausreichenden verbindlichen Maßnahmen zu ergreifen, um dem Klimawandel angemessen entgegenzutreten.
Die Liste an geplanten Rechtsvorschriften in Österreich ist lang und wird länger. Der fehlende politische Gestaltungswille führt zu Frust in Teilen der Bevölkerung (Stichwort: „Klimakleber“), zu EU-Vertragsverletzungsverfahren und letztlich zu Planungsunsicherheit für die betroffenen Unternehmer.
Elektrizitätswirtschaftsgesetz, Klimaschutzgesetz & Co
Auch der erst im Jänner 2024 im Nationalrat eingelangte Ministerialentwurf (310/ME 27. GP) des Elektrizitätswirtschaftsgesetzes, der eine Reform zur Modernisierung der Vorschriften für Österreichs E-Wirtschaft einleitet und Elektrizitätsunternehmen mit vielschichtigen neuen Rahmenbedingungen konfrontieren wird, könnte ein ähnliches Schicksal wie andere rezente Vorhaben erleiden und in der Entwurfsphase verbleiben. Dies ist nicht auszuschließen.
Eine gewisse Grunddynamik zugunsten klimapolitischer Maßnahmen in der seit 2019 laufenden Legislaturperiode ist jedenfalls erkennbar (vgl. z. B. die Schaffung eines Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes [EAG] sowie Novelle[n] des Umweltverträglichkeitsprüfungs- oder Umweltförderungsgesetzes). Allerdings fehlt regelmäßig der erforderliche Konsens und damit der parteiübergreifende Reformwille in der Klimapolitik. Dies zeigt die beispielhafte Aufzählung ausstehender Vorhaben:
- die seit 2021 ausständige Novelle des Klimaschutzgesetzes, das sektorenbezogene Höchstmengen an THG-Emissionen (zuletzt laut Anlage 2 bis 2020) regelte
- der fehlende Energie- und Klimaplan für den Zeitraum 2021—2030 nach der Governance-Verordnung (VO [EU] 2018/1999), weswegen im Dezember 2023 ein Vertragsverletzungsverfahren (INFR[2023]2172) gegen Österreich eingeleitet wurde
- der Stillstand beim Ministerratsvortrag zum Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz vom Jänner 2023
- der Stillstand beim Erneuerbares-Gas-Gesetz (EGG)
Stillstand beim Erneuerbares-Gas-Gesetz als (bisher vergebene) Chance für Produzenten von und Versorger mit erneuerbarem Gas
Die fehlende Umsetzung des EGG ist gerade angesichts der aktuellen Debatte über Diversifizierungslösungen für den österreichischen Gasmarkt brisant. Im beginnenden Wahlkampf tauchen neue Vorschläge auf, Energieunternehmen zur Diversifikation in der Gasversorgung zu verpflichten und den Import von russischem Erdgas zu verbieten. Absolute Verbote erscheinen realpolitisch nicht umsetzbar. Sinnvoller wäre es, den eigentlich bereits seit Februar 2023 vorliegenden Entwurf des EGG (weiter und damit endgültig) voranzutreiben, um etwa die akute Abhängigkeit und damit den Import von russischem Erdgas zu reduzieren.
Zuletzt kam (inhaltliche) Bewegung in den EGG-Entwurf. Dieser Verhandlungsfortschritt wird aber voraussichtlich nicht zu einem Inkrafttreten des geplanten Gesetzesvorhabens in absehbarer Zeit führen: Nach einer fast einjährigen koalitionsinternen Pattsituation seit Abschluss des Begutachtungsverfahrens zum Ministerialentwurf des EGG (251/ME 27. GP) einigte sich die Regierung auf einen grundlegend überarbeiteten Gesetzesvorschlag. Die in der nunmehr seit Februar 2024 vorliegenden Regierungsvorlage zum EGG (2455 BlgNR 27. GP) vorgenommenen Änderungen und Neuerungen werden demnach in diesem Beitrag berücksichtigt. Mit einem zeitnahen Inkrafttreten des verbesserten Gesetzesvorschlages zum EGG ist jedoch nicht zu rechnen, weil die dafür erforderliche Verfassungsmehrheit im Nationalrat (weiterhin) angesichts des anlaufenden Wahlkampfes nicht zu erwarten ist.
Mit dem Entwurf des EGG wird ein vernünftiger Ansatz verfolgt. Er bettet sich zum einen in den unionsrechtlichen Rahmen, der insbesondere durch die Richtlinie zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (RL [EU] 2018/2001, kurz RED) vorgezeichnet ist, und zum anderen in die auf der RED aufbauenden Grün-Gas-Quote, die im EAG seit 2021 geregelt ist, ein.
Die Grün-Gas-Quote ist ein österreichisches Quotenmodell. Sie soll Energieversorger, die Endverbraucher:innen in Österreich entgeltlich beliefern, zur Versorgung mit jährlich steigenden Mengen an (inländisch produziertem) erneuerbarem Gas (einschließlich anrechenbarem rezyklierten Gas) verpflichten. Konkret müssen Versorger nach § 5 EGG-Entwurf im Zeitraum von 2024 bis 2030 (Substitutions-)Mengen, gemessen an ihren im Vorjahr an Endverbraucher:innen in Österreich verkauften (fossilen) Gasmengen, beginnend mit 0,35 Prozent bis zu 9,75 Prozent (2030 mindestens 7,5 TWh) erfüllen. Betreffend die jährliche Substitutionspflicht (Grün-Gas-Quote) ist Folgendes zu beachten:
- Bei ihrer Nichteinhaltung ist die jährliche Fehlmenge (von nunmehr höchstens 30 %) als zusätzliche Substitutionsmenge auf das Folgejahr vorzutragen.
- Ihre Reduktion ist (nunmehr) im Ausmaß der jährlichen Abnahmemenge (laut Energieliefervertrag) von einem Biogasanlagenbetreiber vorgesehen, dessen Anlage aus technischen Gründen, die nicht in dessen Einflussbereich liegen (z. B. verzögerte Bauteillieferung), nicht einsatzbereit ist und der ungeachtet dessen einen Netzzugangsvertrag und sämtliche Bewilligungen für die Einspeisung von Gas ins öffentliche Gasnetz vorweist.
- Ab 2025 soll die Energie-Control Austria einem säumigen Versorger einen gesetzlich bestimmten Ausgleichsbetrag (nunmehr 15 Cent/kWh) für die Fehlmenge vorschreiben. Nunmehr ist klargestellt, dass bei einer Substitution dieser Fehlmenge durch zusätzliche Gasmengen im Folgejahr kein Ausgleichsbetrag zu entrichten ist.
- Verstöße gegen bestimmte Mitwirkungspflichten von Versorgern (oder Anlagenbetreibern) sind mit einer Geldstrafe von bis zu 50.000 Euro zu ahnden
Die verpflichtende Nutzung von erneuerbarer Energie (etwa aus erneuerbarem Gas) kann nach RED III (gültig seit 20.11.2023, RL [EU] 2023/2413) mit grünen Zertifikaten nachgewiesen werden. Diesen Nachweis soll das österreichische Grüngassiegel i. S. d. § 6 EGG-Entwurf liefern, mit dem ein Herkunftsnachweis (von ins öffentliche Netz eingespeistem Gas) oder ein Grünzertifikat (von in nichtöffentliches Netz eingespeistem Gas) zu versehen ist. Laut den zuständigen Stellen (Servicestelle für erneuerbare Gase) soll das Grüngassiegel die Ausstellung eines „Nachhaltigkeitsnachweises“ („Grüner Wert“) bedingen.
Chancen für österreichische Energieunternehmen
Die Chancen für österreichische Energieunternehmen sind aufgrund dieser Ausgangslage jedenfalls vielseitig und nicht zu unterschätzen:
- Aufgrund der gemessen am aktuellen österreichischen Gasverbrauch unzureichenden inländischen Produktion von erneuerbarem Gas hätten Energieproduzenten große Expansionschancen in einem ungesättigten Marktsektor. So kommt das Erreichen der geplanten Grün-Gas-Quote von 7,5 TWh einer mehr als Verfünzigfachung der aktuellen inländischen Produktion von erneuerbarem Gas gleich.
- Für Energieversorger stellt sich wiederum die Herausforderung, die jährlichen Substitutionsmengen von erneuerbarem Gas zu erfüllen. Nach dem aktuellen Konzept des EAG und des EGG-Entwurfs erscheint es schwierig, die Höhe der Substitutionsmenge eines einzelnen Versorgers festzumachen. Weder das EAG (vgl. §§ 5, 85 ff. EAG), das die Grundlage für die Regelungen zu erneuerbarem Gas schafft und damit das Grüngassiegel sowie die Grün-Gas-Quote in Österreich eingeführt hat, noch die für die Anwendung des Quotenmodells zwingend erforderliche Ausführungsbestimmung über die Höhe der jährlichen Grün-Gas-Quote im EGG-Entwurf legen eine mengenmäßige Pflicht für den individuellen Versorger fest.
Problemzone erneuerbares Gas: fehlende Zertifizierungen und Grün-Gas-Quote
Die faktischen Gegebenheiten am Gasmarkt sind ernüchternd, weil das österreichische Konzept einer Grün-Gas-Quote derzeit am Fehlen eines intakten unionsweiten Systems von Herkunftsnachweisen für Gas (analog zum bestehenden System für Strom) scheitert. Das Grüngassiegel als österreichischer Nachweis für die Einhaltung der Substitutionspflicht knüpft an einen Herkunftsnachweis i. S. d. RED an (vgl. §§ 85,87 EAG, § 6 EGG-Entwurf), der Endkund:innen über den Anteil an Energie aus erneuerbaren Quellen (wie erneuerbarem Gas) digital informiert.
Ferner scheint ein (österreichisches) Erneuerbare-Referenzziel i. S. d. Art. 3 Abs. 2 RED III, auf das die erneuerbare Energie anrechenbar sein muss, aus der das erneuerbare Gas hergestellt wird, um ein Grüngassiegel auszustellen, nicht bestimmbar (vgl. aber § 85 Abs. 3 EAG). Dies gilt unabhängig davon, dass Österreich den für die Anwendung des Referenzziels erforderlichen aktualisierten integralen Energie- und Klimaplan ab 2021 der Europäischen Kommission bis dato nicht übermittelt hat.
Zu betonen ist nochmals, dass die erforderlichen Ausführungsbestimmungen, um die Grün-Gas-Quote anwenden zu können, bisher nur als Gesetzesvorschlag (EGG-Entwurf) vorliegen und demnach verbindliche und zwingend erforderliche Bestimmungen über die Grün-Gas-Quote fehlen. Zudem kann der nunmehr vorliegende Gesetzesvorschlag im Zuge einer allfälligen weiteren parlamentarischen Behandlung inhaltlich geändert werden. Dass solche legislativen Anpassungen bis zu einem Gesetzesbeschluss vorgenommen werden, ist gerade durch die rezente Regierungsvorlage zum EGG-Entwurf bewiesen.
Ausblick:
Jüngste Regierungsvorlage als Lichtblick am Ende des EGG-Tunnels und Ende der Planungsunsicherheit?
Die Regierungsvorlage zum EGG hat einige Unschärfen des ursprünglichen Ministerialentwurfs beseitigt. Beispielhaft sei der Einsatz von ausländischem erneuerbaren Gas näher diskutiert: Es war zweifelhaft, ob die Grün-Gas-Quote (trotz anderslautender Erläuterungen zum ursprünglichen EGG-Entwurf) nur durch inländisch produziertes erneuerbares Gas erfüllt werden kann (sog. Inlandsvorbehalt).
Gute Gründe sprachen dafür, von einer Durchlässigkeit der Substitutionsmenge für importiertes erneuerbares Gas auszugehen. Zu begründen war dies etwa mit
- dem offenen Wortlaut des ursprünglichen EGG-Entwurfs,
- den unterschiedlichen Mengenangaben in den Zielbestimmungen nach § 4 EAG und § 2 EGG-Entwurf,
- explizit anderslautenden Erläuterungen zu einem Vorentwurf des EAG (58/ME 17. GP Erl. 18), die jedoch nicht in jenen zur finalen Regierungsvorlage des EAG (ErläutRV 733 BlgNR 27. GP) übernommen wurden,
- dem fehlenden Zugang zu einem fairen Markt mit handelbaren Grüngassiegeln als verhältnismäßige Maßnahme (gleicher Wirkung) nach Maßgabe der EuGH-Rechtsprechung oder
- dem fehlenden Potenzial Österreichs, auf Basis eines Inlandsvorbehalts eine nationale Förderregel i. S. d. Art. 2 Z. 5 RED wirksam umzusetzen (vgl. dazu 22. ErwG RED II).
Die ausdrückliche Pflicht zur Substitution von fossilem Gas durch national produzierte erneuerbare Gase laut Regierungsvorlage lässt nunmehr die Durchlässigkeit der Grün-Gas-Quote für importiertes ausländisches erneuerbares Gas eindeutig nicht zu. Zusätzlich zum Inlandsvorbehalt für die Substitutionspflicht (Grün-Gas-Quote) und folglich für das Grüngassiegel (§§ 2, 5 EGG-Entwurf) hat die Regierungsvorlage im Wesentlichen Folgendes ergänzt und somit die Rechtssicherheit und -klarheit gestärkt:
- Bestimmung der grundlegenden Begriffe „Energie aus erneuerbaren Quellen“ (vgl. § 5 EAG), „Endverbraucher“ (Erdgas für Eigenbedarf oder als Betriebsmittel für Industriebetriebe, Stromerzeugungsanlagen etc.), „erneuerbares Gas“ (vgl. § 7 GWG 2011) und „rezykliertes Gas“; im Übrigen gelten weiterhin die Begriffsbestimmungen nach GWG 2011 und EAG (§ 4 EGG-Entwurf)
- neue Gasmengen für die jährliche Substitutionspflicht, wobei auf diese neuerdings rezyklierte Gase in einem Ausmaß von bis zu 5 Prozent anrechenbar und nunmehr höchstens 30 Prozent der jährlichen Substitutionsmenge auf das Folgejahr übertragbar sind (§ 5 EGG-Entwurf)
- Pflicht ab 01.01.2035 bis 31.12.2040, jährlich zumindest 15 TWh als Substitutionspflicht zu verordnen (§ 5 Abs. 6 EGG-Entwurf)
- ausdifferenziertere Voraussetzungen für den Nachweis der Grün-Gas-Quote bzw. für das Grüngassiegel (§ 6 EGG-Entwurf) Schließlich hat sich die Regierung auf folgende Neuheiten geeinigt:
- Bestimmungen über rezyklierte Gase (§ 5 EGG-Entwurf)
- Reduktion der jährlichen Substitutionspflicht bis zum Jahr 2030 unter engen Voraussetzungen (§ 5 Abs. 10 EGG-Entwurf)
- Schaffung einer EGG-Abwicklungsstelle für die garantierte Zuweisung von erzeugten Gasmengen im Bedarfsfall (§§ 8 f. EGG-Entwurf)
- Verordnungsermächtigung zur Förderung von Versorgern infolge erhöhter Erzeugungs- und Beschaffungskosten, um außergewöhnliche Kosten für Endverbraucher:innen zu verringern (§ 11 EGG-Entwurf)
- gesetzliches Preisänderungsrecht von Versorgern gegenüber Verbraucher:innen und Kleinunternehmern, das sich an einem sachlich gerechtfertigten Symmetriegebot orientiert (§ 12 EGG-Entwurf)
- Schaffung eines taxativen Katalogs an Verwaltungsstraftatbeständen mit Strafdrohung bis zu 50.000 Euro (§ 14 EGG-Entwurf)
Ungeachtet der jüngsten legislativen Nachbesserungen scheinen unbestimmte Rechtsgrundlagen, etwa auch für Durchführungsverordnungen zur Klarstellung der Substitutionspflicht, weiterhin einer drohenden verfassungsgerichtlichen Kassation bei einer Normenkontrolle ausgesetzt zu sein. Insofern müssen betroffene Energieunternehmen die weitere Rechtsetzung wachsam verfolgen, um allenfalls rechtzeitig (Stichwort: Betroffenheit — Individualantrag; Rechtsmittelfrist — Gesetzesbeschwerde; Anlassfall — konkrete Normenkontrolle) die erforderlichen Schritte z. B. zur Wahrung des Legalitätsprinzips (Bestimmtheitsgebots) zu setzen.
Unstrittig ist, dass eine mangelnde Sicherheit am Gasmarkt, die wie oben dargestellt vielfältige Ursachen hat, die beteiligten Energieunternehmen und letztlich auch die Allgemeinheit infolge unterlassener Maßnahmen zum Klimaschutz belastet.
Dieser Artikel zum Klimarecht 2024 von Rechtsanwalt Andreas Lopatka-Sint ist im aktuellen EY Tax & Law Magazine 1/2024 erschienen, in der neuen Ausgabe finden Sie außerdem Artikel zu folgenden Themen:
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- Quotenregelung
- Umwandlung einer GmbH in eine FlexCo
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