Gehaltsabsprachen und Abwerbeverbote im Fokus der Kartellbehörden
Das Kartellrecht verbietet wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Unternehmen. „Klassische“ Kartelle, wie Preisabsprachen und die Aufteilung von Kunden oder Versorgungsquellen, betreffen den Wettbewerb in den Produktmärkten, in denen die beteiligten Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig sind. Daneben konkurrieren Unternehmen aber auch auf den Personalmärkten im Werben um Arbeitskräfte. Versuchen Unternehmen, sich durch gemeinsame Absprachen dem war for talents zu entziehen, kann darin – gleich wie bei klassischen Kartellen – ein Verstoß gegen das Kartellverbot liegen. Zu denken ist insbesondere an Vereinbarungen zwischen Unternehmen über die Beschränkung der Entlohnung oder die Verpflichtung zur Nicht-Abwerbung von Beschäftigten. Auf die Form der Vereinbarung kommt es dabei nicht an. Auch Gentlemen’s Agreements können unter das Kartellverbot fallen. Rechtsanwalt David Konrath hat hier für Unternehmen und besonders für Personalabteilungen die wichtigsten Details und Handlungsempfehlungen zusammengefasst.
QUICK FACTS
- Gehaltsabsprachen (Wage-Fixing) und Abwerbeverbote (No-Poach Agreements) zwischen Unternehmen gelten in der Regel als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen und fallen unter das Kartellverbot.
- Der Rahmen für eine mögliche Rechtfertigung solcher Vereinbarungen ist eng und bedarf einer sorgfältigen Prüfung im Einzelfall.
- Auch der Austausch sensibler Informationen im Personalkontext (Gehälter, Gehaltsbestandteile, Boni, sonstige Konditionen) ist kartellrechtlich verboten.
- Unternehmen müssen sich auf eine verstärkte Verfolgung von Kartellverstößen in den Personalmärkten durch die Wettbewerbsbehörden einstellen.
- Kartellrechtliche Compliance-Maßnahmen sollten – neben Vertrieb und Einkauf – auch das Personalressort erfassen.
Competition Policy Brief
Derartige Absprachen auf den Personalmärkten sind in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der Kartellbehörden in Europa geraten. In mehreren Mitgliedstaaten (z.B. Portugal und Ungarn) wurden bereits Kartellverfahren wegen Absprachen im Arbeitsmarkt geführt bzw. Geldbußen gegen die beteiligten Unternehmen verhängt. Auch bei der Europäischen Kommission ist gegenwärtig zumindest ein Verfahren anhängig, bei dem es um den Vorwurf von Abwerbeverboten geht.
Im Mai 2024 hat die Europäische Kommission einen Competition Policy Brief veröffentlicht und darin ihren Standpunkt zu wettbewerbsbeschränkenden Absprachen im Arbeitsmarkt dargelegt. Die Kommission bekräftigt mit diesem Dokument, weiterhin einen Schwerpunkt auf die Verfolgung von Kartellverstößen im Personalbereich zu legen. Für Unternehmen ist dies als Erinnerung zu verstehen, ihre Recruiting-Verantwortlichen und HR-Abteilungen tunlichst in kartellrechtliche Compliance-Maßnahmen einzubeziehen.
Verhaltensweisen im Fokus
Die Kommission hat zwei Typen von Verhaltensweisen im Fokus: Wage-Fixing und No-Poach Agreements.
Bei Wage-Fixing handelt es sich um Vereinbarungen zwischen Unternehmen als Arbeitgeber zur Festsetzung der Entlohnung, auch in Form von Obergrenzen, oder zur Beschränkung sonstiger Vergütungsbestandteile und Leistungen für Beschäftigte.
Mit No-Poach Agreements verpflichten Unternehmen sich, nicht im Personalbestand eines anderen zu „wildern“. Es geht also um Abwerbeverbote. Diese können einseitig oder reziprok ausgestaltet sein. Sie können ein Verbot jeglicher Anstellung („No-Hire“) zum Gegenstand haben, oder auch nur ein aktives Abwerben verbieten („Non-Solicit“).
Die Kommission betrachtet Wage-Fixing als eine Form der Festsetzung von Ankaufspreisen und sieht in No-Poach Agreements eine Aufteilung von Versorgungsquellen – beides Verhaltensweisen, die in der demonstrativen Verbotsliste von Artikel 101 AEUV explizit genannt sind.
Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen
Zu beiden Arten von Vereinbarungen vertritt die Kommission den Standpunkt, dass sie in der Regel als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen zu qualifizieren sind. Als bezweckte Beschränkungen gelten solche, die schon ihrem Wesen nach geeignet sind, den Wettbewerb zu beschränken. Sie unterliegen daher dem Kartellverbot, ohne dass es auf ihre konkreten Auswirkungen oder ihre Spürbarkeit ankommt.
Keine zulässige Nebenabrede?
Die Kommission bringt in ihrem Policy Brief klar zum Ausdruck, dass sie die Möglichkeit einer Beurteilung von Wage-Fixing oder No-Poaching Agreements als zulässige „Nebenabreden“ für bloß theoretisch hält. Nebenabreden sind Wettbewerbsbeschränkungen, die mit einer – kartellrechtsneutralen – Hauptvereinbarung unmittelbar verbunden und für diese objektiv notwendig und angemessen sind. Beispielsweise: Zwei Unternehmen treffen eine Vereinbarung über gemeinsame Forschungstätigkeit und verpflichten sich außerdem, ein gegenseitiges Abwerben von Beschäftigten zu unterlassen. Die Unternehmen könnten ins Treffen führen, dass ein solches No-Poach Agreement für die Forschungskooperation erforderlich ist, weil sie ihre Mitarbeiter dafür nicht abstellen würden, wenn sie deren Abwerbung durch den Kooperationspartner – und damit einen Verlust von Know-how und Geschäftsgeheimnissen – fürchten müssten.
Dazu hält die Kommission unter Verweis auf die Entscheidungspraxis der Europäischen Gerichte fest, dass die Kriterien für das Vorliegen einer Nebenabrede streng auszulegen sind. So ist die objektive Notwendigkeit einer Wettbewerbsbeschränkung nur dann gegeben, wenn es keine weniger beschränkenden Maßnahmen zur Verwirklichung der Hauptvereinbarung gibt. Die Kommission führt mehrere Beispiele für Maßnahmen an, die nach ihrer Ansicht weniger restriktiv als ein No-Poach Agreement sind und daher dessen Qualifikation als Nebenabrede entgegenstehen. Gelindere Mittel für den Schutz von Geschäftsgeheimnissen sind nach Auffassung der Kommission etwa Vertraulichkeitsvereinbarungen, Geheimhaltungsverpflichtungen oder Wettbewerbsverbote zulasten von Beschäftigten (unter dem Vorbehalt der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit). Nach Ansicht der Kommission bleibt somit wenig Raum für eine Qualifikation von Wage-Fixing oder No-Poach Agreements als zulässige Nebenabreden.
Keine Freistellung?
Ebenso hält die Kommission eine Freistellung von Wage-Fixing oder No-Poach Agreements nach Art. 101 Abs. 3 AEUV für unwahrscheinlich. Hinsichtlich Wage-Fixing bezweifelt sie generell das Vorliegen pro-kompetitiver Effekte, das eine wesentliche Voraussetzung für eine Freistellung wäre. In Bezug auf No-Poach erkennt die Kommission zwar an, dass derartige Agreements grundsätzlich pro-kompetitiv sein können, indem sie ein „Investment Hold-Up“-Problem beseitigen. Etwa, weil Unternehmen durch Vereinbarung von Abwerbeverboten einen Anreiz haben, in die Fortbildung von Mitarbeiter:innen zu investieren, oder ihre Geschäftsgeheimnisse schützen können. Allerdings wird es – wie oben dargelegt – regelmäßig gelindere Mittel zur Erreichung dieser Ziele geben, sodass eine Freistellung von No-Poach Agreements am Kriterium der Unerlässlichkeit scheitern wird.
Informationsaustausch
Ein Thema, das im Policy Brief nicht behandelt wird, aber dennoch nicht außer Acht gelassen werden darf, ist der Austausch wettbewerblich sensibler Informationen, der ebenfalls einen Kartellverstoß begründen kann. Als sensibel können im Personalkontext insbesondere vergütungsbezogene Informationen gelten (z.B. Gehälter, Gehaltsbestandteile, Boni, Dienstwagenregelungen), aber auch Informationen über sonstige Beschäftigungsbedingungen (Urlaubsregelungen, Fortbildungsangebote etc.). Besondere Vorsicht ist daher bei Benchmarking-Aktivitäten von HR-Verantwortlichen geboten. Dies gilt nicht nur für Aktivitäten innerhalb der eigenen Branche, sondern auch im Verhältnis zu branchenfremden Unternehmen, mit denen am Personalmarkt Wettbewerb um bestimmte Arbeitskräfte besteht.
Conclusio
Die Kommission betrachtet sowohl Wage-Fixing als auch No-Poach Agreements als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen und hält für beide Arten von Absprachen eine Rechtfertigung – sei es in Form einer Nebenabrede oder auf Basis einer Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV – für unwahrscheinlich. Auch der Austausch sensibler Informationen im Personalkontext, etwa im Rahmen von HR-Netzwerken oder Branchentreffen, ist kartellrechtlich heikel.
Mit dem Policy Brief macht die Kommission klar, dass sie eine harte Linie gegen Kartellabsprachen im Personalbereich verfolgt. Unternehmen sollten sich auf verstärkte Aktivitäten auch der nationalen Wettbewerbsbehörden einstellen. Die Risiken sind erheblich: Es drohen Geldbußen von bis zu 10 % des konzernweiten Jahresumsatzes, der Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen und Schadenersatzklagen.
Handlungsempfehlungen für Unternehmen
- Für Unternehmen empfiehlt es sich, kartellrechtliche Compliance-Vorkehrungen verstärkt auch für den Personalbereich zu treffen.
- Es bedarf einer Sensibilisierung der zuständigen Mitarbeiter:innen für kartellrechtliche Risiken.
- Beabsichtigte Vereinbarungen mit anderen Unternehmen über Personalagenden, etwa im Zusammenhang mit Kooperationsverträgen, müssen sorgfältig geprüft werden.
- Mögliche Anhaltspunkte für einen Kartellverstoß im Unternehmen sollten rasch mit fachkundiger Unterstützung aufgearbeitet werden, um nachteilige Konsequenzen zu vermeiden.
Hier können Sie den Artikel „Absprachen im Arbeitsmarkt: Wage-Fixing und No-Poach im Fokus der Kartellbehörden“ von Rechtsanwalt David Konrath auch als PDF downloaden:
Mag. David Konrath, LL.M.
Rechtsanwalt bei EY Law | Head of Antitrust
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